Geschichte wird erlebbar - Zeitzeugengespräch Herr Pilz
An zwei Tagen im Frühjahr 2019 hatten die 11. Klassen der Fachoberschule das Vergnügen, Herrn Fritz Pilz als Zeitzeugen willkommen zu heißen. Dieser machte für jeweils anderthalb Stunden die bewegende Geschichte der Familie und seiner selbst erlebbar. Vermittelt worden war das Gespräch durch den „Schule ohne Rassismus“-Paten, Herrn Bürgermeister Bisping.
Herr Pilz ist ein Laufer Urgestein, war Mitgründer der Sportgemeinschaft Lauf und über Jahrzehnte hinweg Schwimmlehrer für über 1.000 Kinder aus Lauf und der näheren Umgebung. Das Licht der Welt erblickte er im Jahr 1928 jedoch nicht etwa in Lauf, sondern in Pethau bei Zettau.
Geographisch gesehen wurde er damit im Südosten Sachsens und im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien geboren. Beide Elternteile, sein Vater Hermann wie auch seine Mutter Luise, waren jung verwitwet und brachten in die neue gemeinsame Ehe weitere Kinder ein.
Bereits in jungen Jahren erwies sich Herr Pilz als umtriebig. Um das Taschengeld um ein paar Mark mehr aufzubessern, half er eifrig bei der Kartoffelernte oder fuhr Semmeln aus. Er verbrachte im Grunde eine weitgehend normale und unbeschwerte Kindheit auf dem Dorf. Dies änderte sich in der Zeit nach 1933, der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.
Seine Mutter war evangelisch getauft, stammte aber aus einer jüdischen Familie. Sie selbst, oder gar ihre Kinder, hatten zum jüdischen Glauben keinen Bezug. Und dennoch musste die Familie die in Nazi-Deutschland einsetzende Ächtung und Entrechtung am eigenen Leib erfahren. Dem Rassewahn der Nationalsozialisten entsprechend galt Herr Pilz durch seine Mutter als sogenannter „Halbjude“, was ihn in deren Augen nicht nur rechtlich disqualifizierte, sondern sogar menschlich entbehrlich machte. Ein nach dem Schulabgang 1942 bereits unterzeichneten Lehrvertrag wurde vor seinen Augen zerrissen, der junge Pilz wurde zum ungelernten Arbeiter. Die letzten Kriegsjahre erwiesen sich insgesamt als verheerend für die Familie. Der älteste Bruder fiel im Feld und seine Mutter wurde von der Gestapo schließlich aus der Familie und dem Leben gerissen. Ihr Weg verliert sich im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Herr Pilz selbst musste aufgrund seiner Abstammung in einem Arbeitslager des Regimes Zwangsarbeit leisten und hatte das unwahrscheinliche Glück der ‚Vernichtung durch Arbeit‘ zu entgehen.
In der Nachkriegszeit verschlug es Teile der Familie Pilz nach Bayern und Lauf. Dort fand er zunächst ein Auskommen und eine bescheidene Bleibe. Dem familiären Glück folgte der Hausbau. Dem Engagement des leidenschaftlichen Wassersportlers ist die Gründung der SG Lauf zu verdanken, die Schwimmausbildung Laufer Kinder und Jugendlicher waren ihm immer ein Herzensanliegen.
Die anwesenden Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Fachoberschule Lauf hörten gespannt den Ausführungen von Herrn Pilz zu. Die gezielten Nachfragen, auf die Herr Pilz bereitwillig einging, zeigten, dass sie die Erzählungen tief bewegte und die Einordnung der Geschehnisse aus heutiger Sicht schwierig aber durchaus möglich ist.
Das kurzweilige Gespräch endete mit einem leidenschaftlichen Appell von Herrn Pilz, der auf die Gegenwart abzielte. Unter Verweis auf seine eigene Geschichte forderte er unter dem Applaus der anwesenden Schülerinnen und Schüler dazu auf, Hilfesuchenden, die aktuell ihre Heimat hinter sich hatten lassen müssen, eine Chance zu eröffnen, sich ein eigenes Leben aufzubauen, wie dies auch bei ihm selbst der Fall gewesen war.
F.-B. Brandl